Johannes

Johannes ist 48 und in verschiedenen Branchen künstlerisch-kreativ tätig (Künstlergruppe monochrom), aber auch als Filmemacher, der morgen bei der Diagonale seinen neuen Film als Weltpremiere vorstellen wird: Hacking At Leaves.

Seinen schönen Amishhut hat er im Lancaster County, Pennsylvania, erworben. „Da war ich 2006 auf dem Weg von Toronto über die Five Finger Lakes nach Philadelphia unterwegs und bin dort durchgekommen. „Amish people sind insoferne großartig, weil sie diesen Technologiekodex haben: sie dürfen keine Handys im Haus verwenden, aber im Stadl.“ Mit 18 gibt es das „Ummaspringa“: „Da werden sie alle weggeschickt und können sich ein Jahr lang austoben, da können sie tun, was sie wollen, sogar Arschpudern.“ Wer will, bleibt danach „draußen“ in der Wildnis, aber die meisten kommen wieder zurück, denn: Was sollen sie dort in der fremden Welt der English, wie das so schön heißt, machen? Sie haben ja meist nicht mehr als Volksschulbildung.

Die Amish people heißen dort ja ja eigentlich Pennsylvania Dutch, in Wahrheit aber sind sie Pennsylvania Deutsche. „Sie sagen nicht Danke, sondern Gern gschä, sprechen einen ein pfälzischen Dialekt.“  Letztes Jahr war er wieder dort und ist im Amish Museum mit seinem Österreichisch-Deutsch mit Amish people, die ihren 200 Jahre alten pfälzischen Dialekt gesprochen haben, und noch einer chassidischen Familie, die jiddisch geredet hat, zusammengestanden. „Und wir haben uns irgendwie großartig miteinander verstanden, aber irgendwie auch wieder überhaupt nicht. Das war eine schöne babylonische Sprachverwirrung des schlechten Deutsches.“

Die Doku also, die er morgen vorstellen wird, ist auch eine amerikinische Geschichte und beschäftigt sich mit den Navajo Indianern und mit Hackern. Um ein bisschen Werbung für den Film zu machen, trägt er heute seinen Ghostbuster-Helm. Aufmerksamkeit ist schließlich alles, außer bei den Amish people.

Martin

Martin ist 59, es geht ihm sehr gut. Ich treffe ihn im Bezirksalten- und Pflegeheim, wo ich am Nachmittag des sogenannten Heiligen Abends die Weihnachtsfeier besuche. Pfarrer Gerhard Maria Wagner betet den Rosenkranz mit den Bewohnern, dazwischen spielt Martin mit seiner „Stubenmusi“, die aus vier Leuten besteht, die Weihnachtslieder, das ist sehr schön. Martin bedient dabei die Harmonika, die er erst mit 19 begonnen hat zu lernen. „Das ist sehr berührend heute“, sagt er, nachdem sie lange nicht hier gespielt haben, aber heute ist eine Gruppe ausgefallen und sind sie gerne eingesprungen. „Es ist schon gut, wenn man das Repertoire vorher ein bisserl auffrischt“, sagt er, der sein Instrument auch bei Stille Nacht mit einiger Inbrunst spielt, fast wie einer aus einer Cajun Band im Mississippi Delta. Dabei kommt er aus Vorderstoder, wohin er dann gleich noch fahren muss, in ein Hotel, das ihn und die seine für die Gäste gebucht hat, nicht für „Saufmusik, sondern für schöne Stubenmusik im Hintergrund.“

„Man kann auch bei Weihnachtsliedern a wengerl den eigenen Groove einibringa“, sagt er, „des merkt man daunn, wenn die Leit a wengerl mitgengan.“ Ein Musiklehrer von ihm, ein Professor an der Anton-Bruckner-Universität in Linz, hat mal zu ihm gesagt: „Musik ist ja nur dann Musik, wenn sie die Seele des Publikums und der Spielenden erreicht, die Technik alleine bringt gar nichts.“

Martin macht sich dann auf nach Vorderstoder, während ich meine Mutter zu ihrem Zimmer bringe. Auf dem Weg dorthin treffen wir den Eggl Walter, der unser Nachbarbub war, zusammen mit seinen Brüdern Willi und Wolfi und seinen Eltern Frieda und Godl lebten sie in einem Steinhaus mit zwei Räumen und ohne fließend Wasser. Der Godl ist dann bald gestorben, der Willi auch, das Haus wurde abgegerissen, und die Familie zerstreute sich. Nun lebt sein hundertjähriger Schwiegervater in dem Heim, in dem auch meine Mutter lebt, und kaum schüttelt er ihr die Hand, schaut sie, die dement ist und kaum noch jemanden kennt, ihn an und sagt: „Servas Walter.“

Er hat wohl ihre Seele erreicht.

Anna

Anna ist 23, es geht ihr gut, als ich sie vor der Albertina beim Hridlicka-Denkmal anläßlich der Feierlichkeiten zum Ersten Mai treffe. Sie nimmt an der Veranstaltung der KPÖ teil, „obwohl ich kein Mitglied bin. Aber es geht jetzt darum, die Lebenskosten zu deckeln, die Lebensmittelpreise, die Energiepreise, und natürlich demonstriere ich für den Frieden.“ Sie lebt alleine im 17. Bezirk in einer Eigentumswohnung und studiert an der Uni Wien Jus, sie will eine Anwältinnenkarriere einschlagen.

Anna wurde als Mann geboren und hat mit 20 die Geschlechtsumwandlung begonnen, „ich bin damit soweit zufrieden.“ Gelegentlich gibt es Anfeindungen.

Ihre schöne Mütze hat sie nach dem Vorbild einer „linkssozialistischen Fraktion mit Bezug auf Gewerkschaften im Spanischen Bürgerkrieg“ selbst genäht, diese Fraktion war in Katalonie beheimatet, und sie hatten eben einen schwarzroten Hut, „den heute niemand mehr herstellt, also machte ich ihn mir selbst.“

Über das Internet recherchierte sie viel zum Spanischen Bürgerkrieg und zur Arbeiterbewegung. Sie hat selbst mal eine Lehre gemacht und eineinhalb Jahre in der Industrie gearbeitet, sie weiß also, wie es den Arbeitern geht. Auch wenn sie heute selbständig nebenher im Internet Geld verdient.

Leo

Leo ist 32, und „heute geht es mir gut.“ Es ist nämlich der Erste Mai, und der ist gewissermaßen sein zweiter Geburtstag, seit er das Datum vor vielen Jahren auf Facebook als sein Geburtsdatum nannte, seither gratuliert man ihm, der eigentlich im Oktober Geburtstag hat, nur  noch am Tag der Arbeit. An diesem treffe ich ihn, als wir vom Rotpunkt Lokal im 5. Bezirk Richtung Innere Stadt marschieren, zwanzig Leute inkl. zweier Babys. Da ist noch Luft nach oben!

Der Maler und Bildhauer hat auf der Bildenen bei Gunter Damisch studiert und 2019 den Abschluss gemacht. Seither „gfrettet“ er sich durch „wie alle Künstler. Ich hab eine Galerie, Ausstellungen, Arbeit. Aber es ist halt immer ein Hin und Her zwischen Förderungen, Verkauf und sonstigen Projekten.“ Und dazwischen Monaten, während derer er nur Nudeln ißt. „Aber solange man keine Kinder hat, geht’s ja.“

Die Fahne, die er trägt, ist schwarz und hat rosarote Streifen. Sie zeigt das Logo der AKK, der Aktion Kommunistischer Künstler, einer Arbeitsgruppe der Partei. Interessierte treffen sich einmal im Monat, um aktuelle Themen zu besprechen (Lueger-Denkmal; wie man mit NFDs umgeht; was AI für KünstlerInnen bedeuten wird). In der Gruppe haben sie ein bisserl das Gefühl, dass die KPÖ „dahingehen noch wenig Kompenz hat und im Parteiprogramm echte Lücken aufweist.“

Leo hat Freude daran, seine Genossen auch Genossen zu nennen. „Das macht man halt.“ Und er glaubt, „dass gerade ein Aufschwung einsetzt, dass ganz viele Junge aus einem sozialdemokratischen Umfeld, so wie ich, jetzt den Hut drauf hauen.“ Dass man in Salzburg gesehen hat ist, dass eine Stimme an die KPÖ keine verorene Stimme sein muss. Und dieser Turn, sagt er, wäre wichtig, damit jetzt endlich was weiter geht. Auch ein Generationswechsel in der Partei wäre bitter nötig. Theman müssten modern diskutiert werden, ohne, dass man ständig dem Großen Bruder nachtrauert.

Unlängst hat er irgendwo gelesen, dass keine Partei mehr eine Wahl gewinnen kann, deren Mitglieder Kapperl tragen. Er aber ist überzeugter Kapperlträger und – was das angeht – Traditionalist. Er hat viele handgemachte von einem Hutmacher aus Berlin und trägt sie, so wie Warhol früher seine Perücken getragen hat. „Sonst geb‘ ich als Figur ja nicht so viel her“, lacht er.

Franzi

Franzi ist 63,es geht ihm gut. Ich treffe ihn vor der Bootsanlegestelle Korneuburg, er wird heute noch ein bisschen die Donau hinauf fahren. Er lebt eigentlich im Bezirk St. Veit „am Berg oben, ich bin ein Bergbauernbua, i bin noch nie gesiedelt in meinem Leben.“ Lebt nach wie vor dort, wo er aufgewachsen ist, „die Eltern sind längst verstorben, wir waren zehn Kinder, ich bin der Jüngste. Ich hab das mit dem Bruder gemacht, der ist auch verstorben, mittlerweile führt den Betrieb der Sohn.“

1981 hat er seine Roswitha kennengelernt, „ein 17jähriges Madel, sie ist auf einmal gestanden bei der Kirche, wie der 4-Berge-Marsch war. Eigentlich hat mich meine damalige Freundin hinaufgeführt, aber dann hab ich um die Hand von der Roswitha angehalten.“ Mit ihr zusammen baute er das uralte Haus um, „das kann man sich nicht mehr vorstellen, das waren zwei Räume, eine Stube, da sind alle drinnen geschlafen, und eine Kuchl, da sind alle drinnen gegessen.“ Das WC war ein Pumplsklos, „und wer sich im Winter bei minus 20 Grad da hingesetzt hat, da bist du lei aussi und zack hast abgedruckt, da war nix mit Zeitungslesen. Dann haben wir gebaut und gebaut, ein Projekt zum anderen. Als Hobby für die Familie haben wir uns ein kleines Booterl nach Krotatien gestellt, immer ein paar Tage im Sommer, als Bergbauer kommst ja nicht weg.“

„Wir haben zehn Stuck Vieher gehabt, Schweinkerln, Hennal, Rindvicher. Im 2010er Jahr hab ich angefangen Forellen zu züchten, 1983 hab ich ins neues Haus einen Backofen hineingemauert und angefangen zum Backen, mich hat als Jüngster immer fasziniert mit der Mami Brot zum backen. Ein Holzofenbrot, ein Wahnsinn! Das tust einfeuern, und erst wenn der Teig richtig gegangen war und die richtige Hitz drinnen war, dann schießt du es ein und mit der Speicherwärme backst du es. Das war göttlich.“

„Kennst das, wenn der Partner sagt: Was kochen wir heute? Die Roswitha hat gesagt: Geh du Fisch holen, ich hol den Salat und mach die Erdapferl. Wir haben mal ein Jahr gehabt, da haben wir 500 Fisch verkocht am Hof…“

Dann, 2018, ist seine Roswitha, seine große Liebe, gestorben. „Wir waren 37 Jahre zusammen, das musst du dir einmal vorstellen. Mein bester Freund, ein Jäger hat mir gesagt, wie ich unter dem Teppich gelegen bin, wie ich nimmer weiter gewußt habe: Entweder du derschießt dich jetzt, oder du packst es an und lebst weiter. Und recht hat er, es ist einfach so im Leben. Du musst erst einmal das Glück haben, dass du diese Liebe gehabt hast. Natürlich hätte es ewig sein sollen, aber was ist schon ewig? Mit der Roswitha hab ich immer gesagt: Wenn es Winter ist, müssen wir mal in die Wärme, weil im Sommer haben wir die Wärme eh immer gehabt. Ein Jahr nach ihrem Tod bin ich mit dem Rucksack nach Fuerteventura, dort war ich sieben Wochen und hab sie noch ein bisserle mit mir getragen….“

Nun hat er hier in Korneuburg eine neue  Liebe. „Wir sind wandern gegangenhaben und haben uns gleich verstanden.“ Er pendelt zwischen Kärnten und hier, „aber es ist halt nimma das Nest, das man sich baut, wenn man jung ist. Das ist jetzt ein ganz anderes Leben.“

Alles Gute, Franzi! Es war mir eine Freude dich zu treffen.